Gerichtsgebäude An der Martinikirche/Eiermarkt

Fassade an der Turnierstraße

Fassade an der Turnierstraße

  1. Nutzung, Bauzeit

    • Gerichtsgebäude
    • Neubau von 1991-94 mit Rekonstruktion des Landschaftlichen Hauses und Einbeziehung älterer Bausubstanz
  2. Städtebauliche Situation, Nachbargebäude

    • geschlossene Bebauung eines vollständigen Baublocks (Eiermarkt/Turnierstraße)
    • Nachbargebäude: im Umfeld mehrere historische Bauten, u.a. Martinikirche
  3. Geschossigkeit und Dachform

    • dreigeschossige, traufständige Blockrandbebauung mit Sattel- bzw. Walmdächern
  4. Baukörpergestaltung

    • Rekonstruktion des Landschaftlichen Hauses dreiseitig freistehend und dominant, sonst Blockrandbebauung mit zwei Höfen und zentrierender Erschließungspassage, im Südosten Treppenturm, geneigte Dächer mit Dachaufbauten (Frontons)
  5. Bezug von Baukörper und Dachform zur Umgebung

    • schlüssige Komplettierung eines historisch hochbedeutenden Stadtquartiers mit Zitaten klassizistischer Baugestaltung
  6. Fassadengestaltung

    • Fassaden Turnier-/Petersilienstraße mit Horizontalgliederung, Erd- und 2. Obergeschoss zurückliegend und mit rhythmischen Gliederungselementen belebt (Wandpfeiler, Säulchen),
    • in den Obergeschossen Fensterbänder
    • Vertikalgliederung durch zentrierende Einschnitte und darauf bezogene Dachaufbauten
    • starker Dachüberstand erscheint als Traufgesims
    • Ostfassade (Eiermarkt) flächig und vorwiegend vertikal gegliedert, hier zusätzliches Obergeschoss (Mezzanin) und integrierte Garagenzufahrt
  7. Detaillierung

    • Ausbildung einer gestuften Sockelzone und von Gesimsen
    • Rahmung von Einschnitten und Fensterbändern
    • maßstäbliche Differenzierung der Gliederungselemente (z.B. Pfeiler, Säulchen)
    • Binnenteilungen der Öffnungen auf Gliederung bezogen
  8. Materialien und Farbgebung

    • Erdgeschossbereich und Fensterrahmungen mit Natursteinplatten verkleidet
      1. Obergeschoss weiß verputzt
    • Fensterbänder und Einschnitte mit Rahmen bzw. Pfosten und Riegeln aus Metall
    • Ziegeldach mit roten Krempziegeln
  9. Bezug der Materialien und Fassadengestaltung zur Umgebung

    • Natursteinplatten. Putzflächen und Ziegeldächer korrespondieren mit der historischen und neuen Bebauung der Umgebung
    • Fassade zitiert Proportionen und Gestaltung klassizistischer Architektur
  10. Abschließende Bewertung: + +

    • wichtige Schließung einer Baubrache im zentralen Bereich der Altstadt mit einer klassischen Blockrandbebauung
    • Bezugnahme auf die klassizistische Bautradition
    • differenzierte Gliederung, in den Details etwas überinstrumentiert
Fassade an der Turnierstraße

Fassade an der Turnierstraße

Mit der Errichtung des neuen Amtsgerichts ist 1991-94 eine der letzten großen, kriegsbedingten Brachflächen in der Braunschweiger Innenstadt bebaut worden. Das Gerichtsgebäude umfasst den gesamten Baublock zwischen Turnierstraße und Eiermarkt. In den Neubau wurden historische Gebäudeteile einbezogen, während man am Eiermarkt ein älteres Gebäude beseitigte.

Hauptgebäude des Gerichts ist eine Rekonstruktion des ehemaligen, klassizistischen Landschaftlichen Hauses An der Martinikirche. Von diesem Gebäude war nach Kriegszerstörung und weitgehendem Abbruch nur ein Teil des Säulenportikus und der Sockel erhalten. Seine Rekonstruktion erfolgte in veränderter Form (Portikus) und vervollständigt den Platz An der Martinikirche wieder als einen der schönsten Platzräume Braunschweigs.

Der Neubau schließt südlich an das Landschaftliche Haus bzw. an die erhaltene Fassade eines ihm benachbarten, historischen Gebäudes am Eiermarkt an. Der dreigeschossige Gebäudekomplex ist durch einen passagenartig gestalteten Erschließungsbereich zentriert. Die „Passage“ greift die Mittelachse des Landschaftlichen Hauses auf und endet im Süden mit einem turmartigen Baukörper. Die geschlossene Blockrandbebauung umschließt zwei Innenhöfe und besitzt geneigte Dächer mit roter Ziegeldeckung. Der Treppenhausturm akzentuiert die Südostecke des Gerichtsgebäudes, sein gläsernes, oberstes Geschoss schließt mit einem flachen Pyramidendach ab. In der Ostfassade befindet sich die Zufahrt in die Tiefgarage.

Die Fassaden sind an den drei Fronten am Eiermarkt und zur Petersilienstraße einheitlich gestaltet. Sie sind horizontal in eine Erdgeschosszone und in zwei voneinander abgesetzte Obergeschosse gegliedert. Eine vertikale Gliederung erfolgt mit Einschnitten, in deren Achsen breite Dachaufbauten mit Dreiecksgiebeln (Frontons) angeordnet sind. Sie zentrieren die langgestreckten Fassaden, beinhalten jedoch keine Eingänge. Erdgeschoss und 2. Obergeschoss springen hinter die Fassadenflucht zurück. Das Erdgeschoss ist mit Natursteinplatten verkleidet und zeigt eine rhythmische Gliederung durch ebenso verkleidete Wandpfeiler. Die Sockel springen hinter den Pfeilern gestuft zurück.

In den Wandrücksprüngen befinden sich Metallsäulen. Solche Säulen gliedern auch das 2. Obergeschoss und nehmen hier den rhythmischen Duktus des Erdgeschosses auf. Sie haben eine ausschließlich gliedernde und dekorative Funktion.

Das 1. Obergeschoss ist weiß verputzt und zeigt bandartige Fensteröffnungen. Die Fenster sind mit Gliederungen und schmale Rahmungen aus Sandsteinplatten versehen. Ebenso schließt dieses Stockwerk mit einem schmalen Werksteingesims ab. Im 2. Obergeschoss befinden sich durchgehende Fensterbänder, die hinter den Metallsäulen liegen. Dachüberstand und zurückliegende Fensterfront erzeugen eine Schattenzone, womit die Traufbereiche deutlich von den Fassaden getrennt sind. Der Dachüberstand ist leicht gestuft und wirkt wie ein kräftiges Kranzgesims. Die Fassade zum Eiermarkt ist flächiger gestaltet und durch vertikale Gliederungen gekennzeichnet. Hier ist ein zusätzliches, mezzaninartiges Stockwerk eingefügt. Das weitgehend geschlossene Sockelgeschoss ist ebenso wie das „Mezzaningeschoss“ mit Natursteinplatten verkleidet.

Mit dem Gerichtsneubau ist neben dem Wiederaufbau des Landschaftlichen Hauses ein sehr wichtiger Teil der Innenstadt taktvoll wieder bebaut worden. Baukörper und Fassadengestaltung sind vage an klassizistische Vorbilder angelehnt, ohne sich anzubiedern. Es handelt sich um die Interpretation einer Architektur, wie sie im Bereich Eiermarkt/Turnierstraße vor der Kriegszerstörung vorhanden war. Materialien und Dachdeckung kommunizieren weitgehend mit den historischen Bauwerken im Umfeld, auch mit den ebenfalls um 1990 entstandenen Gebäuden der Staatsanwaltschaft.

Die sekundären Gliederungen mit Metallsäulen und die bandartigen Fenster lassen das Gebäude deutlich als Produkt seiner Zeit erkennen, wobei die Gliederung leicht überinstrumentiert erscheint. Der Treppenhausturm wirkt an der Ecke Eiermarkt/Petersilienstraße als Element, das seine Nutzung stark überhöht.

Insgesamt rundet das Amtsgerichtsgebäude einen zentralen und historisch hochbedeutenden Teil des ehemaligen Weichbildes Altstadt wohltuend ab.

Altan
Austritt (Balkon) über einem Vorbau, z.B. über einer Veranda
Aus- bzw. Vorkragung
über die Bauflucht vorspringendes Stockwerk bzw. Gebäudeteil
Brüstung
Wandbereich unter einer Fensteröffnung
Fasche
Rahmung einer Fassadenöffnung (Tür, Tor, Fenster) durch Putz- oder Farbstreifen bzw. mit hölzernen Bauteilen
Fensterband
Reihung von Fensteröffnungen, bei Treppenhäusern auch in senkrechter Anordnung möglich
Freigespärre
Vor einer Giebelfassade angeordnetes Dachgespärre zur Stützung eines entsprechenden Dachüberstandes, oft aus dekorativen Gründen errichtet
Fronton
unmittelbar über der Traufe vor der Dachfläche und quer zum First aufgesetzter Dreiecksgiebel
Gaube
hinter die Traufe zurückgesetzter Dachaufbau
Gesims
waagrechter Mauerstreifen oder entsprechendes Profil zur Fassadengliederung, häufig auch an der Traufe (Traufgesims, bei freistehenden Bauten auch Kranzgesims genannt)
Gewände
Einfassung einer Fassadenöffnung (Tür bzw. Fenster)
Kolonnade
offener Gang hinter einer Pfeiler- oder Säulenreihe
Lisene
flacher, senkrechter Mauerstreifen zur Fassadengliederung
Loggia
hinter einer Fassadenflucht eingezogener Freibereich mit Austritt
Mezzaningeschoss
niedriges Stockwerk, meist unter dem Dachansatz (Traufe) angeordnet
Okulus
kreisrunde Fensteröffnung
Ortgang
Kante einer Dachschräge am Giebel
Paneel
geschlossene Füllung in einer Vorhangfassade
Pilaster
senkrechter Mauerstreifen zur Fassadengliederung, entsprechend einer Säule mit Basis und Kapitell gesteltet
Pultdach
Dach mit einseitig geneigter Fläche
Risalit
vorspringender Fassadenbereich in gesamter Gebäudehöhe, meist als Mittel- oder Seitenrisalit
Segmentbogen
Bogen über einem Kreisausschnitt (kein voller Rundbogen)
Sohlbank
architektonisch betonter, unterer Abschluss einer Fensteröffnung
Staffelgeschoss
hinter die Traufe zurückspringendes Dachgeschoss, zumeist bei Flachdächern
Sturz
oberer Abschluss einer Wandöffnung (Tür bzw. Fenster)
Traufe
oberer, waagrechter Abschluss einer Fassade, bei geneigten Dächern die untere Dachkante
Vorhangfassade
vom Haupttragwerk eines Gebäudes abgelöste Fassade in Pfosten-Riegel-Konstruktion, oft großflächig verglast
Werkstein
durch Steinmetz bearbeiteter Naturstein
Zwerchhaus
unmittelbar über der Traufe in Fassadenflucht angeordneter Dachaufbau mit Giebel quer zum First (Zwerchgiebel)